Pantheistisches Christentum: Ein Auslegungsversuch
Nun sehe ich mich durchaus dem Pantheismus angetan. Aus dem Taoistischen, Shintoistischen, gar aus dem Alevitischen scheint mir der Aspekt, Gott sei in der Natur — ja in uns — sehr sympathisch. “Gott hat die die Welt geschaffen” – so auch uns. So heißt es wenigstens.
Wir (das Pronomen hier sowohl im Singular als auch Plural zu verstehen) sind sein Ebenbild und sollten uns deshalb um uns selbst, um unsere Mitmenschen und genau so um die Natur kümmern; auch aus Respekt vor Gott. Unabhängig davon, wie die konkrete Vorstellung einer metaphysischen Entität bzw. von metaphysischen Entitäten wie die eines Gottes bzw. Götter aussieht — denn ich erachte den Pantheismus als sowohl monotheistisch als auch polytheistisch auffassbar, aber auch als weder noch — so ist die Idee, im Leben nach dem Tod wieder Teil des Kreislaufes der Natur zu werden, doch irgendwie beruhigend. Gott und sein Werk sind dann als eine Einheit zu verstehen; als komische Energie. Davon spricht sogar Einstein! Und auch die Aleviten haben in der Hinsicht für diese allumfassende, sowohl Gott als auch uns beinhaltende kosmische Energie einen Namen: Hak. Leider sind mir der Aleviten Traditionen und auch Sprachgebrauch fremd (wenngleich ihre heiligen Bücher keine Sprache per se festlegen, liegt Türkisch oder Kurdisch aufgrund der Sprachkenntnisse der meisten Gemeindemitglieder nahe). Das sonst nächst Greifbare sind andere mystische Gruppierungen wie das mystische Judentum oder der mit dem Alevitentum verwandte Sufismus.
Jetzt bin ich also erzogener Christ: getauft, konfirmiert. Und ich sehe eine Möglichkeit, mich trotzdem als Pantheisten zu verstehen, wenn auch zu meist dem Christentum die Eigenschaft des Monotheismus betont zugeschrieben wird (was ja nicht zwingend Pantheismus ausschließt wie zuvor dargelegt). Diese Möglichkeit ist interessanterweise die Dreieinigkeit. Gott kam in form seines Sohnes Jesu auf die Erde und traf uns Menschen hier an. Aber auch als Heiliger Geist erfüllte Gott die Herzen der Menschen, was einer sehr mystischen und spirituellen Komponente entspricht. Diese Dreieinigkeit verstehe ich als Tor zum Kosmischen. Nur die Vorstellung des Himmels bzw. des Paradies macht ein vollständig pantheistisches Verständnis des Christentums schwer. Wenigstens wird der Himmel nicht stark konkretisiert, weswegen der Pantheismus auch nicht absolut abwegig erscheinen sollte; solang man denn nicht gerade Katholik ist. Im Katholizismus gibt es nämlich einen weltlichen Repräsentanten, Papst genannt, der als Entität zu institutionell für eine kosmische Auffassung des Christentums wirkt. Diesbezüglich erscheint mir auch die meines Erachtens nach oftmals überzogene Bepreisung der Jungfrau Maria als interpretationserschwerend.
Zusammenfassend kann ich also sagen, dass sich zwischen Pantheismus und Christentum Möglichkeiten der Vereinbarkeit finden lassen können. Wenigstens, wenn es um die Augsburgische bzw. evangelische und nicht römisch-katholische Konfession geht. Ob man mich tatsächlich als Pantheisten beschreiben kann, sei dahingestellt.
Post scriptum (1): In Anregung durch Lena Wudi (Evangelisch St. Ulrich in Augsburg) hat sich noch ein unterstützender linguistischer Aspekt für die kosmische Interpretation des Christentums ergeben. Dieser ist wohl aber für die Hauptargumentation unpassend, da er zum Einen zu (sprach-)wissenschaftlich im Vergleich zum Rest des Aufsatzes und zum anderen zu kontrovers durch seine Abhängigkeit der linguistischen Deutung ist. Dieser Aspekt ist zwei- bzw. dreigliedrig und zielt zunächst auf den Namen ab, den Gott Mose als seinen eigenen im Exodus 3 – der Geschichte mit dem brennenden Dornenbusch (Dornbusch) – offenbart: JHWH. Dieser Name kann von hja (dem hebräischen Verb sein) und über den kausalen (verursachenden) Stamm Hiphil (פְ עִ יל) im Hebräischen als Imperativ (Befehl) bzw. Ausruf (»[Es] sei!«) aufgefasst werden. Es liegt nahe, dass hier von einem Schöpfergott die Rede ist. Im zweiten Teil des Arguments geht es um die vielseitig interpretierbare und interpretiere Aussage Gottes »Ich werde sein, der ich sein werde« (Ähejä aschär ähejä). Unabhängig davon, ob Gott darauf abzielt, seine Existenz geheimnisvoll zu halten, seinen immerzu werdenden Charakter seines Seins oder auch den momentanen Zustand des Seins zu betonen, spricht er zusammenfassend von seinem eigenen Sein. Eine konkrete Vorstellung (ob werdend oder momentan, wenn überhaupt), ist demnach weniger wichtig. Wünscht man dennoch eine konkretere Auslegung, so findet sich im griechischen Alten Testament (Septuaginta) die Aussage »Ich bin der Seiende«, was den momentanten Charakter Gottes Seien bestärkt. Damit ist folgendes Verständnis möglich: Gott hat alles Seiende erschaffen und ist selbst. Damit ist er in uns (denn wir sind) und auch um uns (in der von ihm geschöpften seienden Natur). Eine wahrlich pantheistische Auffassung.
Ansonsten haben sich durch Lena zwei weitere Punkte als eher unklar herausgestellt: inwiefern Maria aber auch die Existenz des Himmels bzw. des Paradies die pantheistische Auslegung des Christentums stören. Zur Maria kann man sagen, dass sie aufgrund der Existenz der Dreieinigkeit keine sonderbare Rolle erfüllt. Durch Gott hat man das metaphysische Sein, durch den Heiligen Geist das Spirituelle um sich. Wer nun Gott im Menschen selbst sucht, der könnte die Antwort in seinem Sohn finden. Doch wie eben schon gezeigt, kann man Gottes Sein allein bereits als omnipräsent verstehen und eventuell sogar versuchen, diese Omnipräsenz als die Dreieinigkeit darzulegen: er ist selbst (Gott), er ist um uns (Heiliger Geist) und auch in uns (denn wir sind Teil des von ihm geschaffenen Seins). Letzteres soll aber lediglich ein Denkanstoß sein, denn für eine konkrete These ist diese Behauptung zu wage. Jedenfalls sollte nun klarer sein, dass eine übersteigerte Bepreisung der Maria – wie eben bei Katholiken der Fall, weswegen sie auch erwähnt wurden – beim Pantheismus eher weniger sinnvoll ist. Die zweite Unklarheit ist meine Kritik an der konkreten Vorstellung des Himmels im Christentum. Wie sich herausstellt, handelt es sich hierbei eher nicht um einen Widerspruch zum Pantheismus, denn – und so sagt auch Lena – schließt der Himmel die Omnipräsenz Gottes – hier als Hauptcharakteristikum des Pantheismus verstanden – nicht aus. Damit liegt sie natürlich richtig. Dass eine konkrete Vorstellung des Nachlebens eher kein Teil einer pantheistischen Religion sein sollte, war eine für den Aufsatz getroffene, aber nicht genannte Annahme. Dies als zwingend zu erfüllendes Charakteristikum des Pantheismus zu betrachten scheint eher abwegig und sollte nicht allgemein gefordert werden.